Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Kreisverband Kreis Groß-Gerau e. V.

Aufnahme des Crivit-Pedelecs auf freier Fläche.

Das Discounter-Pedelec bietet viel fürs Geld, hat aber auch Nachteile. © ADFC/Filippek

Gesehen und Gefahren: Lohnt sich das? Ein Lidl-Rad unter der Lupe

Elektrofahrräder sind oft sehr teuer, die Versuchung, ein günstiges Modell zu kaufen, groß. Wir haben ein Elektrorad von Lidl für 1.599 Euro ausprobiert und haben sowohl Licht als auch Schatten gefunden.

Der Discounter bietet in seinem Online-Shop auch Elektroräder an. Die Preise sind attraktiv, die technischen Eckdaten auch. So wird das Crivit Urban E-Bike X.2 von einem Mivice M080-Hinterradmotor mit 45 Nm Drehmoment angetrieben, der sich auch in höherpreisigen Regionen findet. Der Riemenantrieb von Gates ist zwar für die Einstiegsklasse gedacht, aber durchaus keine Billigware. Das gilt auch für die Schwalbe Big Ben-Reifen.

Singlespeed

Eine Schaltung gibt es nicht, ein Gang muss reichen. Damit ist klar, dass sich das Rad für vorwiegend flaches Terrain eignet, aber nicht für lange und steile Anstiege.
Das Rad ist in einer Diamantrahmen- und einer Trapezversion in jeweils einer Rahmengröße erhältlich. Der von uns ausprobierte Diamantrahmen soll Menschen von 170 bis 195 cm Größe passen. Der Abstand zwischen Sattel und Lenker fällt dabei sehr groß aus, was insbesondere kleinere Menschen in eine sehr sportliche Sitzposition zwingt. Das Oberrohr ist sehr lang und dazu sorgt die Kröpfung der Akku-Sattelstütze dafür, dass der Sattel noch weiter vom Lenker entfernt ist. Mit demTrapezrahmen sollen laut Hersteller 160 bis 190 cm große Personen zurechtkommen.

Ungewöhnlich ist die Vorbau- Lenkereinheit: Beide Teile sind miteinander verschweißt. Will man dort etwas tauschen, sind also gleich zwei neue Teile fällig.

Elektroantrieb

Auf dem Oberrohr befindet sich der Einschaltknopf, der gleichzeitig das Licht einschaltet. Die drei verschiedenen Unterstützungsstufen wählt man mit kleinen Tastern unterhalb der Bremshebel an. Ein Ring aus Lichtsegmenten zeigt farbig an, in welcher Stufe man sich gerade befindet und wie der Akkustand ist. 

Mehr Informationen sind dem System nicht zu entlocken. Es gibt kein Display und keine zum Rad gehörende Smartphone-App. Daher sind Werte wie die Gesamtkilometerleistung, aktuelle Fahrstrecke, Geschwindigkeit etc. nur feststellbar, wenn man externe Fahrradcomputer oder Smartphone-Apps nutzt.

Der Akku sitzt im voluminösen Sitzrohr und kann zum Laden im Rad gelassen oder entnommen werden. Er besitzt eine Kapazität von 360 Wattstunden. Mittels eines Kabels ist mit dem Motor verbunden. Will man den Akku laden, muss erst die Verbindung getrennt werden, um dann das Ladegerät anzuschließen. Etwas umständlich, aber kein Problem.
Etwas Sorge hat man aber wegen des Kabels, das recht ungeschützt zwischen Sattel und Rahmen liegt. Das könnte zu Beschädigungen führen. Eine Satteltasche lässt sich wegen des Kabels nicht anbringen.

Ausstattung

Die Shimano-Scheibenbremsen bieten hohe Bremskraft und geringe Bedienkräfte. Das im Schutzblech integrierte Rücklicht bietet eine Bremslichtfunktion: Es leuchtet beim Bremsen heller auf. Der Scheinwerfer sitzt unterm Lenker. Für den Stadteinsatz ist er hell genug, für zügiges Fahren in völliger Dunkelheit nicht.

Der Sattel ist sehr schmal, was bei der gestreckten Sitzposition auch Sinn ergibt. Der Gepäckträger von Atran Velo kann mit Körben und Taschen des Herstellers kombiniert werden, die einfach aufgesteckt werden.

Weitere Details: Auf dem Vorbau befindet sich ein Adapter für eine Sp Connect-Smartphonehalterung. Will man diese nicht benutzen, gibt es eine Abdeckung. Unterm Tretlager ist ein Fach für ein Apple AirTag.

 

Fahrverhalten

Die Sitzposition ist sportlich, ansonsten verhält sich das Rad unauffällig. Sowohl auf geraden als auch auf kurvigen Strecken kommt es gut zurecht, ein guter Kompromiss zwischen Wendigkeit und Spurtreue. Hinterradmotoren bringen ihre Kraft erst ab einer gewissen Drehzahl effektiv auf die Straße. In Kombination mit dem Eingang-Antrieb sorgt das dafür, dass man bei den ersten Pedalumdrehungen viel Eigenleistung erbringen muss, dann aber schiebt der Motor komfortabel an. Es gibt drei Unterstützungsstufen, bei längerem Druck auf den rechten Taster schaltet der Motor zudem für bis zu 20 Sekunden in den Turbo-Modus.

Grundsätzlich unterstützt der Motor angenehm und gleichmäßig. In der stärksten Stufe setzt die Unterstützung aber etwas plötzlich ein und schiebt nach einer Pedalierpause etwas zu vehement ein. Auch Anstiege kommt man mit dem Crivit hinauf, besonders steil oder sehr lang sollten sie aber nicht sein. Ohne Gangschaltung wird die Trittfrequenz sonst sehr langsam, was auf Dauer unkomfortabel ist. Zudem wird der Akku so schnell leergesaugt.

Reichweite

Lidl verspricht eine Reichweite bis zu 100 Kilometern. Das klingt sehr optimistisch angesichts des recht kleinen Akkus von 360 Wattstunden Kapazität. Der Wert ist jedoch durchaus realistisch: Bein Ausprobieren sind wir 80 Kilometer weit gekommen, dabei wurde meist die zweite Unterstützungsstufe gewählt. Die Teststrecke war überwiegend flach, aber hatte auch einige Anstiege und viel Gegenwind zu bieten. Bei idealen Bedingungen sollten daher 100 Kilometer drin sein – also auf komplett flachen Strecken, der leichtesten Unterstützungsstufe und wenig Gegenwind.

Irritierend war die Anzeige des Akkustandes: Zwei volle Segmente wurden angezeigt, bis die Anzeige plötzlich nur noch mit einem Segment blinkte und damit das baldige Ende der Energieversorgung ankündigte.

Service

Kommt es innerhalb der Drist zur gesetzlichen Sachmängelhaftung und freiwilligen Garantie zu technischen Problemen, holt Lidl das Rad zur Reparatur ab. Alles anderen Arbeiten wie Inspektionen, Austausch von Verschleißteilen und andere Reparaturen müssen in einer normalen Fachwerkstatt erledigt werden. das ist grundsätzlich möglich, da die meisten Komponenten auch von anderen Herstellern genutzt werden. Bei Problemen mit dem Motor muss man aber eine Werkstatt finden, die die nötigen Analysecomputer und Werkzeuge für den Mivice-Motor hat.

Lidl bietet auch Ersatzteile wie den Akku, das Ladegerät und andere Komponenten als Ersatzteile an. Dass diese auch nach mehreren Jahren noch verfügbar sind, kann aber nicht garantiert werden. Auch findet sich zum Beispiel das oben angesprochene Verbindungskabel vom Akku zum Motor nicht im Ersatzteil-Shop - ob man bei Beschädigung dann Ersatz bekommt, wurde auf Anfrage nicht klar beantwortet - man halte sich "stets an die verschiedenen nationalen und europäischen Regelungen zur Verfügbarkeit von Ersatzteilen und bemühen uns, diese Verfügbarkeit, wo technisch möglich, auch darüber hinaus zu gewährleisten."

Fazit

Das Rad wird für 1.600 Euro angeboten, zeitweise war es sogar für 1.200 Euro zu haben. Für den Preis stimmt der Gegenwert. Das Rad macht einen hochwertigen Eindruck, große Schwächen zeigt es nicht. Der größte Nachteil ist sicher die sehr sportliche Sitzposition. Wer ein Elektrorad kauft, ist häufig auf der Suche nach Komfort, den die Sitzposition aber nicht bieten kann. Wer gerne so sportlich sitzt, fährt wohl auch ohne Antrieb gerne schnell. Dennoch macht es Freude, mit dem Rad unterwegs zu sein, was auch an dem gut funktionierenden Motor liegt.

Ein Problem beim Online-Kauf ist der Service. Wer schnell Hilfe einer Werkstatt braucht, muss damit rechnen, länger auf Hilfe zu warten, wenn ein Geschäft die eigenen Kund:innen vorrangig mit Terminen versorgt. Gibt es Probleme mit der Elektronik, muss die Werkstatt mit den nötigen Werkzeugen und Analysecomputern für den Antrieb ausgestattet sein, sonst kann sie nicht helfen.

Eine Black Box ist die Ersatzteilverfügbarkeit nach Ablauf der Garantiezeit - man kann nicht darauf vertrauen, auch in einigen Jahren noch alle nötigen Ersatzteile zu bekommen - dann wäre das Rad nur noch ohne Elektroantrieb zu fahren.

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